Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. So wie eine Schale als rund und nicht als eckig bezeichnet wird. So wie das Gefängnis, Gefängnis und nicht Schutzhaft genannt wird. So wie Mord als Mord und nicht Spezialoperation genannt wird. So wie Solidarität als Eintreten füreinander und nicht als Verordnung von oben bezeichnet wird. So wie Freiheit als Freiheit und nicht Willkür genannt wird. So wie Waffen als Tötungsmaschinen und nicht als Friedensbringer bezeichnet werden…
Dieser Text bezieht sich auf das Gedicht „Ich will dich“ der Lyrikerin Hilde Domin. (Hilde Domin: «Ich will dich» Fassung von 1995) In der letzten Passage dieses Gedichts bezieht sie sich auf Konfuzius. Sie sagte in einem Interview: „Jede kleinste Verschiebung zwischen dem Wort und der mit dem Wort gemeinten Wirklichkeit zerstört Orientierung und macht Wahrhaftigkeit von vornherein unmöglich.“ Mehr ist eigentlich nicht zu sagen.
emotional lands
HCIUD (eine Kooperation von Maria Hanl & Michaela Schausberger, 2023/24)
Hciud – 2024/1
Was ist der Kitt, der diese Welt zusammenhält? Selbst wenn wir die gleiche Sprache sprechen, verstehen wir uns noch? Wer gibt den Worten ihre Bedeutung und wer entscheidet, was sie bedeuten? Die bildende Künstlerin Maria Hanl und die Komponistin und Performerin Michaela Schausberger eröffnen dem Publikum einen poetischen Reflexionsraum. Sie nähern sich diesen Fragen in Form einer performativen Zeichnung, in der das Wort in seiner Semantik und Phonation der Ausgangspunkt für die Erkundung der Zusammenhänge zwischen Bewegung/Denken/Spüren ist.
english version: What is the glue that holds this world together? We speak one language, but do we still understand each other? Who gives words their meaning and who decides what they mean? The visual artist Maria Hanl and the composer and performer Michaela Schausberger approach these questions in the form of a performative drawing, in which the word in its semantics and phonation is the starting point for exploring the connections between movement/thinking/sensing.
hciud – 2023/1
Sich einem Ort annähern Artist in Residence, Kunstnarhuset Messen, Norwegen, 2023
Viele, viele Steine am Strand erzählen von der Industrie einige Meter weiter. Heute wird unter anderem Ferrosilicium hergestellt. Zum ersten Mal machte diese Firma 1934 ordentlich Profit. 1934? Sie verdienten am 2. Weltkrieg, an Vietnam, an Korea…erzählte mir Oeven, ein ehemaliger Arbeiter. Und heute? Man kann in diesem Ort am Strand sitzen und umgeben von hohen Felsen, diese Fabrik und ihr globales Wirken völlig ausblenden. Man kann sich an den hübsch gestrichenen Häusern erfreuen, und sich der Illusion hingeben, dass die Welt hier ursprünglich und in Ordnung wäre. Dennoch ist sie es nicht. Der globalisierte Kapitalismus hat diesen Ort fest im Griff. Die Eigentümer der Fabrik sind heute längst aus China. Die Schiffe bringen das Rohmaterial aus Leirpollen, Tana (Norwegen) und das gewonnene Ferrosilicium geht nach Rotterdam. Von Rotterdam aus geht das Material in alle Welt – wohin genau ist ein Firmengeheimnis.
Danke an Kunstnarhuset Messen für die Möglichkeit und der Österreichischen Botschaft in Oslo und dem BMKÖS für die Unterstützung dieses Arbeitsaufenthalts.
Das Gewicht von Papier
War es im Rahmen der Residency 2021 in Steyrermühl vor allem der ORT, der Maria Hanl künstlerisch interessierte, kommen 2023 verstärkt die WORTE ins Spiel, gedacht als Sprache, die gesellschaftliche Verhältnisse benennt und beschreibt. Sprache kann Abhängigkeiten und Ausbeutungsverhältnisse ansprechen, sie kann jedoch auch das Gegenteil: sie verschleiern und hinter glatten Begriffen fast unsichtbar machen.
Vieles ist heutzutage „smart“ und auf den ersten Blick auf das Wohl der Menschen gerichtet. Maria Hanl blickt in ihrer Auseinandersetzung aus dem Blickwinkel einer bildenden Künstlerin hinter die Fassaden von Begrifflichkeiten. In ihrem Künstlerbuch „Mantra aus dem Anthropozän“ spielt sie auf Glaubenssätze an, die von vielen Menschen in einer neoliberal-kapitalistischen Welt selbstverständlich und daher oft unhinterfragt übernommen werden. Es stellen sich für die Künstlerin daher immer auch gesellschaftliche Fragen: welche Solidarität ist in einer Gesellschaft möglich, deren ureigenster Motor die Konkurrenz darstellt?
Eine Gesellschaft, deren wichtigster Wert der Profit ist, wird, in dieser Logik, selbigem alles unterordnen. Die Natur und der Mensch selbst verkommen damit zu Ressourcen, die es zu benützen, zu verwerten und zu kontrollieren gilt. Das Lebendige und die Verbundenheit mit dem Lebendigen werden dabei unweigerlich auf der Strecke bleiben.
Das von der Künstlerin geschaffene installative Setting, eröffnet Sichtweisen und Fragen, die uns Menschen an der Schwelle in ein Neues Zeitalter betreffen. Denn schließlich geht es um nichts geringeres, als um die Frage, wie wir als Menschen in dieser Welt sein möchten.
Das Material Papier (bzw. sein Rohstoff) und Elemente aus der ehemaligen Fabrik (wie Meßgeräte, Metallteile usw.) werden dabei von Maria Hanl geschickt in die Szenografie eingebaut, die sowohl Text, Video, Fotografie und textile Objekte miteinschließt.
Eine Landschaft schaut mich an
Ich schaue
in die Landschaft und es blicken mich sämtliche stumme Gesichter an: die für
den Sommer mit grünen Abdeckungen versehenen Schneekanonen. Ein seltsamer, aber
vertrauter Anblick. Ich kann sofort eine Verbindung zu einem menschlichen
Gesicht herstellen und zu aktuellen Phänomenen, die unsere Gesellschaft
betreffen: Anonymisierung, Atomisierung, Gleichschaltung, Technisierung,
Monetarisierung. Wie verlorene Soldaten einer vergangenen Zeit scheinen diese
Figuren die vorbeigehenden Wanderer zu beobachten. Den Blick dieser Figuren
habe ich in mich aufgenommen. Er hat mich begleitet.
Es ist
seltsam. wenn man als Künstlerin in einem 3000 Plätze fassenden Bergrestaurant
zwei Wochen zum Arbeiten verbringt. Man kann tief in den Bauch einer
Gesellschaft und Industrie hineinsehen, deren Teil man auf eine bestimmte Weise
immer ist. Auf erschreckend klare Weise ist man mit all den Widersprüchen einer
Gesellschaft verknüpft, deren Fundamente auf Ausbeutung und Gewinnmaximierung
fußen.
Meine künstlerische Arbeitsweise betrachte ich als Beobachtung und Reflexion, bei der ich mich als Individuum immer wieder im Kontext zur Gesellschaft betrachte. Die auf diese Weise generierten Erkenntnisse, die hergestellten Verhältnisse und die gestellten Fragen sind kein Tanz um das eigene Ich, sondern der Versuch, diese Welt in all ihrer Widersprüchlichkeit zu begreifen. (SilvrettAtelier2022)